Von der Flüchtlingswelle überrascht?!
Die Risikoabschätzung für langfristige Investitionsprojekte erfordert die aufmerksame Beobachtung von längerfristigen Trends und sich daraus ableitbare Risiken und die Eintrittswahrscheinlichkeit von bestimmten Ereignissen. Dies ist der Alltag unseres Analystenteams und auch unserer Mitarbeiter, die sich u.a. mit Ländern wie Afghanistan über den Nahen Osten bis zum Maghreb und der Subsahara befassen; insbesondere auch der Kolleginnen und Kollegen, die seit Jahren in diesen Regionen TV-Teams Dreharbeiten, Interviews, … hin Hochrisikogebieten ermöglichen. Hierzu gehört seit Jahren die Berichterstattung über Flüchtlingslager und deren Ursachen. Zuletzt haben wir uns wiederholt mit einem der größten Flüchtlingslager in Jordanien, der Containerstadt Zaatari unweit der Grenze zu Syrien befaßt.
Vor diesem Hintergrund überrascht es, daß sich die Politik von der gegenwärtigen Flüchtlingswelle überrascht zeigt und die zuständigen Behörden vom Grenzschutz bis zu hinzu den Städten und Gemeinde so spät und undzureichend informiert und vorbereitet wurden. Denn dieses Ereignis kam nicht „out of the blue“. An Zeichen der Zeit hat es nicht gemangelt, die z.T. auch in den Medien für jedermann wahrnehmbar waren.
Fluchtpunkt Libyen
Immer wieder las, sah und hörte man z.B. spanischen Enklaven in Nordafrika, wo v.a. Afrikaner aus der Subsahara versuchten, die hohen Grenzzäune zu überwinden und die wilden Flüchtlingslager in Marokko und damit der Druch auf diesen Teil der EU Grenze ständig zunahmen. Dabei fiel auf, daß die marokkanischen Behörden zunehmend lässiger die Flüchtlinge an den Gerenzzaun heran ließen.
Als 2011 in Libyen der Staat im Bürgerkrieg versank und mit ihm jeglicher effektiver Grenz-/Küstenschutz am Mittelmeer, witterten Schlepperbanden bis Drogenkartelle die Chance ihres Lebens. Schon seit Jahren laufend Drogenrouten aus Südamerika über den Atlantik nach Westafrika und u.a. über Mali in den Maghreb in Länder wie Marokko, oder Algerien, von wo aus es nicht mehr weit in die EU ist. Wer als Jugendlicher mal mit dem Interrail-Ticket in Marokko war, erinnert sich vielleicht an Mitreisende Jugendliche, die auch der Drogen und nicht nur des Surfens in wegen in Marokko waren. 2011 aber tat sich die Chance auf, relativ einfach und im großen Stil nicht nur Drogen sondern auf Menschen von der libyschen Küste über das Mittelmeer nach Europa zu bringen. Es ging fortan nicht mehr um die Bestechung von Zöllnern oder Küstenschutz, sondern schlicht um einen verhandelbaren Preis mit den im jeweiligen Küstenabschnitt und entlang der Routen durch Libyen herrschenden Gruppen. Ein win-win Situation für Schlepper wie deren lokale Partner, die ihr Gewerbe mit zunehmenden Einnahmen ständig professionalisierten. Daß hier für gutes Geld das „Ticket“ für eine neue Visafreie Reise durch Afrika ans Mittelmeer und nach Europa bestand, war auch schnell Thema im Maghreb und südlich der Sahara bis hinein nach Zentralafrika. Dort sorgten, Korrupte Führungseliten, Terror, Kriege, Wirtschaftskrisen oder Ebola dafür, daß diese Nachricht auf fruchtbaren Boden einer immer besser ausgebildeten aber immer perspektivloseren Jugend fiel. Schon vor Jahren haben Forscher auf den zu erwartenden sozialen Druck dieser demographisch stetig anwachsenden Gruppe hingewiesen. Bevölkerungswachstum, bessere Bildung und Internet – zuletzt via Smartphone – waren nicht zuletzt auch eine der Ursachen der arabischen Revolten 2011.
Die wachsenden Zahlen – über einige Jahre hinweg – die zuerst auf Malta und in Süditalien erreichten, waren Zeichen an der Wand. Es fehlte nicht an Hinweisen, daß man sich auf Dauer nicht in der Lage sehe alleine mit der wachsende Menge an Flüchtlingen fertig zu werden. Schengen hin oder her … Italien fing an die Flüchtlinge nach Norden ziehen zu lassen. Auch das nicht erst seit 2015. Wieweit auch die Mafia in Italien neben den Drogen aus Nordafrika auch an den Flüchtlingen verdient hat, gerade im Mezzogiorno, erscheint dabei eher eine rhethorische Frage zu sein. Jedenfalls zogen diese Flüchtlinge weiter Richtung Frankreich, Deutschland und Ärmelkanal – Fluchtpunkt Eisenbahntunnel. Während Ende 2013 noch über Projekte zur Sicherung der Landgrenze in Libyen in Brüssel diskutiert wurde, war mit dem erneuten versinken Libyens 2014/15 im Krieg absehbar, was das für das Geschäft der organisierten Kriminalität der Schleuser und Schmuggler bedeuten würde. Und die Kassen waren prall gefüllt, u.a. um Schlauchboote für den einmaligen Gebrauch zu erwerben und unabhängig von der begrenzten Zahl alter Fischkutter, etc. zu werden. Wer über genügend Geld verfügte, konnte und kann sich ggf. auch mit gecharterten Yachten in Nordafrika abholen lassen. Vermieter von Yachten beobachten mit Sorge, wer auf einmal Interesse an einem Turn im Mittelmeer hat.
Ägäis – die weiche Südostflanke der EU
Der Niedergang des korrumpierten politischen Systems in Griechenland, beschleunigt durch die Finanz- und Wirtschaftskrise, beunruhigte frühzeitig Sicherheitsexperten u.a. in den USA, die auf eine Stabilisierung Griechenlands um jeden Preis drängten. Das geschah nicht in den Tagesmedien, aber wer Ohren hatte zu hören, wußte, daß es den USA weniger um den Euro oder die Drachme ging, als die Sorge, daß eine kollabierender griechischer Staat die Südostflanke der NATO und der EU gefährlich schwächen könnte: z.T. auch erweitert um den gesamten Südbereich von NATO und EU – den etwas abfällig genannten PIGS Staaten (Portugal Italy Greece Spain). Wirtschaftskrise, politische Krise, Lohnausfall für Beamte, Korruption, … was hießt das für Militär, Grenzschutz, Polizei und Nachrichtendienste dieser Länder?
Zwei Szenarien waren für Griechenland Gespräch u.a. (1) radikale griechische Parteien, die ungelösten Konflikten mit Mazedonien und Türkei zündeln, um vom eigenen innenpolitischen Sorgen abzulenken. (2) Versagen des Grenzschutzes in der Ägäis, der Menschen-, Drogen- und Waffenhandel oder sonstigen Schmuggel beflügeln könnte, bis hin zur unbemerkten Einreise von Terroristen aus Nahost.
Die Türkei sah sich derweil zunehmend mit Flüchtlingsgruppen aus Syrien konfrontiert, deren ethnische bis religiöse Zugehörigkeit alleine schon für Unruhe sorgten. Nicht wenige der Flüchtlinge waren säkulare Kurde, Männer und Frauen mit praktischen Erfahrungen aus dem Bürgerkrieg im Guerillakrieg diesseits der Grenze. Wer mag kann heute noch Bilder und YouTube Videos googeln, wie türkisches Militär z.T. versuchte, den Zustrom an Flüchtlingen zu begrenzen, u.a. aus Kobane.
Aufgrund einer traditionellen Migration aus Syrien in die Türkei, nicht nur der Kurden, fanden die Flüchtlinge auch erste Zuflucht bei Verwandten in der Türkei, andere konnten sich Hotels oder Wohnungen leisten, ein Großteil aber stellte in Flüchtlingslagern zusehends sozialen und politischen Sprengstoff für das türkische Regime dar. Parallel begehrten Teile der türkischen Bevölkerung zunehmend gegen die Herrschaft den damaligen Premierminister und heutigen Staatspräsidenten Erdogan auf. Im Sommer 2015 eskalierte die Lage: Die Kurden in Syrien befreiten u.a. mit Hilfe der PKK und westlicher Unterstützung bis hin zu den USA die meisten syrischen Gebiete an der Grenze zur Türkei und schlossen die Landbrücke zu den Kurden im Irak. Ein Alptraum für türkische Nationalisten und Hardliner. Dies wurde noch gesteigert durch die Niederlage der AKP bei den Parlamentswahlen, verbunden mit einem Erdrutschsieg der kurdischen HDP. Der Rest ist jüngere Geschichte: Ein ungeklärter Bombenanschlag und ein Wiederaufflammen blutiger Kampfhandlungen zwischen Kurdischer PKK und türkischen Sicherheitskräften, der täglich neue Todesopfer und Pogromstimmung gegen Kurden in einigen Landesteilen der Türkei auslöste. Für kurdische und andere Flüchtlinge kein Umfeld um zu bleiben und eine Türkei, die sicher keinem dieser Flüchtlinge eine Träne nach weint. Die türkische Küste kann man sicher nicht 100% rund um die Uhr sichern, aber bestimmte Routen zur See und zu Land wohl doch. Aber der messerscharfe Blick türkischer Nachrichtendienste, Militärs und Polizei scheint hier sonderbar getrübt bzw. andere Prioritäten zu haben.
Merkel Youth in Kabul
Das die traditionellen Routen der Drogen aus Afghanistan u.a. über die Türkei nach nach Europa führen, verweist auf eine weitere Gruppe von Flüchtlingen, die einen hohen Anteil auf der Balkanroute stellen. Es ist kein Geheimnis, daß entlang der Drogenrouten nicht nur Drogen geschmuggelt werden, sondern auch Waffen- und Menschenhandel florieren bzw. transnationale Schlepperbanden aktiv sind. Den Sicherheitsbehörden sind zumindest die Routen wohl bekannt. So wundert es nicht, daß Afghanen, Iraker und andere auf ihnen den Weg nach Deutschland finden. Die Infrastruktur und Akteure waren bereit die Chance einer Expansion und Beschleunigung ihres Geschäfts und damit ihrer Gewinne zu nutzen.
Was in diesem Szenario nun noch fehlte, lieferten weltweit über TV und soziale Medien sich explosionsartig ausbreitende Bilder, daß nicht nur die Grenzen Libyens und der Türkei, bzw. der Südstaaten der EU durchlässig wurden, sondern daß mit Dominoeffekt jegliche Grenzkontrollen bis hin zur deutschen Grenze weggefallen sind. Diese Bilder wurden auch in Kabul gesehen, wo trotz über einem Jahrzehnt Aufbauarbeit des Westens, die Jugend in weiten Teilen perspektivloser den je ist. Herumgesprochen hat sich auch, daß man u.a. unterwegs offizielle syrische Pässe für 200 Euro und somit eine neue Identität als Kriegsflüchtling bekommen kann.
So machen sich junge afghanische Flüchtlinge auf einen langen Weg. Einige kommen aber nie in Europa an, weil bereits aur dem Weg zum und durch den Iran sterben, wo sie zweimal Grenzgebiete (Khorsan, Sistan and Baluchestan sowie Kurdistan) mit Guerillias, Terroristen, Drogenbanden und dies bekämpfenden iranischen durchqueren müssen. Wer dabei noch Drogen schmuggelt, kann auch am Galgen im Iran enden. Andere sterben schlicht an Erkrankungen, Verletzungen oder tödlichen Unfällen. „Merkel Youth“ nennt man diese jungen Afghanen jetzt in Kabul.
Angesichts der hier wiederholt beschriebenen etablierten und hoch professionell agierenden Akteure, mit fließenden Grenzen zu Terrorismus à la IS und Organisierter Kriminalität, wundert es nicht, daß auch in deutsche Sicherheitsbehörden die Alarmglocken schrillen, wo Tausende ohne effektive Kontrolle in die EU und Deutschland einreisen.
Was aber eben verwundert, wie spät und überrascht die Politik auf diese Flüchtlingswelle reagiert hat. Sie wird dabei derzeit weder der humanitären Katastrophe noch den damit verbundenen Sicherheitsrisiken gerecht. Die viel gescholtene britische Politik ist hier – nicht zuletzt aufgrund einschlägiger Erfahrung mit Immigration und Terrorismus (von der IRA bis zu Al Qaida) – wesentlich sensibler. London beharrt daher auf einer Flüchtlingspolitik, die sorgfältig prüft, wer in das Vereinigte Königreich kommt.
Die derzeit völlig ausgeblendete Sicherheitsfrage wird daher von den Briten zurecht hervor gehoben. Was die FAZ* treffend beschreibt hört man dieser Tage in der Londoner City u.a. auch bei Terror-Versicherern bei Lloyd’s, dem weltgrößten Versicherungsmarkt.
*http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/kritik-aus-grossbritannien-die-deutschen-wirken-sehr-unsympathisch-13813916.html
Wir müssen uns dabei in Deutschland auch kritische Fragen gefallen lassen, ob wir die mediale Wirkung von Bildern unterschätz haben, die eine fatale Sogwirkungen bis hin nach Kabul erzeugt haben. Vor allem auch deswegen, weil diese Sogwelle auch andere Länder triff und Deutschland selber auch nicht ansatzweise auf die Folgen vorbereitet ist, wenn sich Millionen von Menschen in Bewegung setzen. Diese machen sich zum Teil aus den Umständen entsprechend sichereren Umfeldern auf eine lebensgefährliche Reise, die nicht alle überleben werden.
Friedrich Haas, Geschäftsführender Gesellschafter der AKE | SKABE GmbH (www.ake-skabe.de)