Forum Vernetzte Sicherheit

In-depth considerations on synergistic security

Münch: Nationale Abschottung gefährdet Sicherheit

Die Herbsttagung des Bundeskriminalamts (BKA) ist Gradmesser für das, was die deutsche Polizei so umtreibt. In diesem Jahr fiel der Kongress zudem noch mit der Verabschiedung des Bundesetats für das Innenressort zusammen. Der Auftritt von Bundesminister Horst Seehofer wurde daher mit besonderer Spannung erwartet.
Wo der Schuh drückt, stellte der Präsident des BKA, Holger Münch gleich in seinen ersten Sätzen klar: Kriminelle sind zunehmend international vernetzt, erst recht im Tatraum Internet. Eine große Sorge für Polizeien in Europa, erst recht für ein föderal organisiertes Deutschland. Denn: der europäische Gefahrenraum kann nicht mit unterschiedlichen Systemen gesichert werden, das gilt insbesondere für digitale Systeme. Zudem sind immer häufiger große Datenmengen zu erfassen und zu sichten. Die Vernetzung der Kriminellen, die unterschiedliche Systemlandschaft und technologischen Standards der Polizeien sowie die mangelnde Zusammenarbeit der Behörden machen die Arbeit des BKA schwieriger. Andererseits bieten sich durch die Digitalisierung neue technische Möglichkeiten. Doch diese Freude ist gedämpft – schließlich nutzen Kriminelle die neuesten Technologien recht schnell während die Mühlen der offiziellen Beschaffung für die Behörden langsam mahlen. Letztlich stellt der Rechtsrahmen eine Hürde dar. Nicht alles, was der Markt hergibt, darf auch von den Behörden genutzt werden.
Auch demographische Veränderungen innerhalb der Bevölkerung stellen die Sicherheitsexperten vor Probleme. In unserer vielfältigen Gesellschaft fühlen sich immer mehr Menschen abgehängt. Münch lokalisiert die Ursachen. Dazu gehören die Entwicklungen und Veränderungen in der Arbeitswelt und der Einsatz von intelligenten Maschinen, die Menschen ersetzen beziehungsweise Anwender mit technischen Fertigkeiten erfordern. Ebenso sind für Münch die Finanzkrise sowie Migration Ursachen für eine breite Verunsicherung, insbesondere in bestimmten Bevölkerungsgruppen. Besonders ältere Menschen haben mehr Angst vor Kriminalität. Insgesamt steige das allgemeine Gefühl der Unsicherheit in Deutschland. „Gefühlte Kriminalität und tatsächliche Kriminalität haben aber nur bedingt miteinander zu tun.“ Aber, so Münch: Gefühle und Ansichten in der Bevölkerung sind auch Fakten, besonders wenn sie das Vertrauen und das Ansehen der Polizei betreffen. Daher ist es auch Aufgabe des Staates, dass Bürgerinnen und Bürger sicher fühlen können und es nicht einfach nur sind. 
Die Polizei muss sich auf diese Veränderungen einstellen und reagieren. Die Menschen in Deutschland sollen wieder stärkeres Vertrauen in die staatlichen Institutionen haben. Vertrauen ist dabei die Erwartung der Bevölkerung in die Lösungskompetenz der staatlichen Organe. Dieser Vertrauensvorschuss basiert auf Kompetenz und Integrität der Behörden. Daher ist es dem allgemeinen Sicherheitsgefühl in Deutschland nicht zuträglich, wenn die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben offensichtlich bei der digitalen Kompetenz hinterherhinken. Die Forderung: Die Polizei muss mit der Digitalisierung Schritt halten UND präsent vor Ort sein. „Eine Online-Wache ersetzt keinen Streifenwagen vor Ort, aber sie ergänzt ihn“, so Münch.
Insofern sendet der Präsident des BKA ein positives Signal in den Saal und damit in Richtung seiner Kolleginnen und Kollegen sowie Vertretern der Wirtschaft aus: „Wir müssen jetzt investieren und Investitionssprünge machen. Das bedeutet in den nächsten Jahren einen enormen Ressourceneinsatz.“ Die Bürgerinnen und Bürger sollen spüren: Die Polizei wird besser ausgestattet und sie geht verantwortungsvoll mit den neuen Technologien und Fertigkeiten um. Sie sollen darauf vertrauen können, dass die Polizei die richtigen Antworten findet auf Digitalisierung und technologische Sprünge nie geahnten Ausmaßes. 
Neues Geld für alte Probleme
Direkt von den Haushaltsverhandlungen des Deutschen Bundestages in Berlin reiste der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, Horst Seehofer nach Wiesbaden. Er hatte zunächst einmal viel Zweckoptimismus im Gepäck. Seehofer: „Wir leben im stabilsten Rechtsstaat, den wir jemals auf deutschem Boden hatten.“ Aber auch der Innenminister wies auf die Tücken der Digitalisierung hin: Er forderte, dass sich die rechtlichen Voraussetzungen anpassen müssten, zum Beispiel bei der Telekommunikationsüberwachung. Ganz besondere in Zeiten, in denen Kriminelle nicht mehr über das öffentliche Telefonnetz, sondern über das Internet telefonieren. Hier brauche man neue rechtliche Rahmenbedingungen, um mit diesen Verhaltensänderungen Schritt halten zu können. Seehofer warb aus Wiesbaden für Vertrauen bei den Gegnern neuer polizeilicher Überwachungs- und Durchgriffsrechte: „Wir sind mit der Telefonüberwachung in der Vergangenheit rechtsstaatlich und verantwortungsvoll umgegangen. Warum sollte sich das bei der Anwendung neuen Technologien ändern?“ Wir brauchen einen starken Staat, mit den nötigen rechtlichen Befugnissen für den Einsatz der Technologien, wie sie auch die Feinde des Rechtsstaates einsetzen.“
Aus finanzieller Sicht soll das BKA jedenfalls die nötigen Mittel an die Hand bekommen. Vor allen in den Bereichen Terrorismusbekämpfung und Cybersicherheit soll es um 476 Stellen wachsen. Doch, so Seehofer, der Rechtsstaat sei nur „rund“ mit einer ebenso leistungsfähigen Justiz. Hier besteht Grund zur Besorgnis. Viele Verdächtige und Kriminelle kommen allein wegen Fristablauf wieder auf freien Fuß. Der Staat ist oft nicht in der Lage, in zügigen Verfahren zu einem Urteil zu kommen. Teilweise wird der Rechtsstaat auch durch das weidlich ausgenutzte Strafverfahrensrecht ad absurdum geführt. Ebenso sind massive Personalprobleme der Status quo. Es fehlen derzeit rund 2.000 Richter und Staatsanwälte. In den nächsten Jahren werden darüber hinaus rund 10.000 Richter und Staatsanwälte pensioniert.
Horst Seehofer berichtet, dass allein die Anzahl der Terrorverfahren von 100 im Jahre 2012 auf heute 1.292 Verfahren angestiegen sind – eine Verdreizehnfachung. Bei den Gefährdern mit islamistischem Hintergrund sieht es ähnlich aus. Hier ist deren Anzahl in Deutschland von 150 im Jahr 2013 auf inzwischen 765 bekannte Personen gestiegen – eine Steigerung von 417 Prozent. Auf diese Wachstumsraten werden die deutschen Sicherheitsbehörden nicht entsprechend reagieren können – weder personell noch finanziell. Schon allein deshalb  bleibt nur die Hoffnung auf die Digitalisierung, verbunden mit einer viel höheren Effizienz innerhalb der eigenen Bereiche, sowohl in technologischer Hinsicht als auch im Hinblick auf die nationale und internationale Zusammenarbeit.

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