Maschinenbau in Deutschland: Jedes Jahr verschwinden 33.000 Jobs durch Kriminelle

Dass die Branche der Maschinen- und Anlagenbauer in Deutschland unter Produktpiraterie leidet, ist bekannt. Dass es jedoch immer schlimmer wird, zeigt die neue Studie des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), die heute auf der Hannover Messe vorgestellt wurde.
Mehr als 70 Prozent der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer sind laut VDMA von Produktpiraterie unmittelbar betroffen. Der Schaden wird auf jährlich 7,3 Milliarden Euro geschätzt. Umgerechnet in Arbeitsplätze bedeutet dies jährlich einen Verlust von 33.000 Stellen – eine Beschäftigtenzahl in der Größenordnung des Unternehmens Evonik. Die Dunkelziffer bei Fälschungen liegt noch höher. Besonders kleinere Betriebe können sich keine ausgereifte Marktbeobachtung leisten. So geben nur rund die Hälfte aller befragten Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 75 Millionen Euro an, sie seien von Produktpiraterie betroffen. Bei den großen Unternehmen mit mehr als einer Milliarde Euro Umsatz sind nahezu alle Unternehmen betroffen.
Wenn große Betriebe bereits vollständig betroffen sind und kleinere Firmen keine ausreichenden Ressourcen haben, dem Problem wirksam zu begegnen, dann sind die absoluten Zahlen lediglich ein Indiz für die Größe des Problems, aber kein verlässlicher Indikator. Dies kann auch eine Erklärung für die im Vergleich zur vorherigen Studie unveränderten absoluten Zahlen der Schädigungen sein. Der Erkenntnisgewinn ist nahezu ausgeschöpft. Dieser Umstand verdeutlicht jedoch die Schwere des Problems für Maschinen- und Anlagenbauer.
China schadet sich selbst – und Deutschland
Wie viele andere Branchen leiden der deutsche Maschinen- und Anlagenbau unter dem halbherzigen Vorgehen gegen Produktpiraterie in der Volksrepublik China. Das Land produziert und konsumiert mit Abstand am meisten gefälschte Ware. Die Volksrepublik ist dabei Täter und Opfer zugleich. Chinesische Unternehmen produzieren die gefälschte Ware, um sie danach hauptsächlich im Heimatmarkt an chinesische Unternehmen zu verkaufen. Die Firmen kaufen vermeintlich deutsche Produkte, die jedoch minderwertige chinesische Plagiate sind. Für die deutsche Wirtschaft ist der Schaden in China dabei doppelter Natur. Nicht nur verlieren deutsche Firmen Umsatz, sie leiden auch in der Folge unter dem Reputationsschaden, den die gefälschten Produkte nach sich ziehen.
Rasanter Anstieg von Online-Plattformen
Der stark wachsende Anteil von Online-Plattformen am Handel von Fälschungen ist für die Branche relativ neu. Wurden vor zwei Jahren 30 Prozent der Plagiate über Online-Plattformen gehandelt, waren es 2018 bereits 40 Prozent am illegalen Marktvolumen. In der Studie heißt es dazu: „In mehr als der Hälfte der Fälle treten die gefälschten Produkte über nicht autorisierte Händler in Erscheinung, was einem deutlichen Zuwachs gegenüber der letzten Studie um zehn Prozentpunkte entspricht. Ebenfalls mit einem deutlichen Zuwachs folgen auf dem zweiten Platz B2B-Platformen wie Alibaba, ec21, 1688 oder ezplaza, die einen weltweiten Vertrieb der Plagiate ermöglichen. B2C-Platformen, wie zum Beispiel Amazon, Ebay oder taobao, bilden mit 14 Prozent das Schlusslicht der Vertriebskanäle.“ Der E-Commerce spielt für den deutschen Maschinenbau daher eine immer wichtigere Rolle – das betrifft die Originalprodukte wie auch deren Fälschungen. Der autorisierte Händler als ehrlicher Makler tritt dabei immer mehr in den Hintergrund.
Designplagiate – ohne Mühe reich werden
Dass der Maschinen- und Anlagenbau eine der Branchen mit der höchsten Plagiatsrate ist mag überraschen, denn die Maschinen und ihre Bauteile sind sehr teuer. Die Versuchung, (Anschaffungs-)Kosten zu sparen, ist groß. Schließlich gelten die hochkomplexen Maschinen und Komponenten nicht umsonst als Ingenieurskunst. Ein Nachbau dürfte nicht so einfach sein. Daher hat das sogenannte „Reverse Engineering“ auf dem Plagiatsmarkt einen weiterhin hohen Anteil. Dabei wird vom Fälscher zunächst ein Originalprodukt gekauft, in seine Einzelteile zerlegt und genau analysiert. Auf Basis des gewonnenen Wissens werden die Geräte gefälscht und nachproduziert. Die Fälscher sparen Forschungs- und Entwicklungskosten sowie an der Qualität der Ausgangsmaterialien. Beim Reverse Engineering beabsichtigen die Fälscher zumindest, ein anfangs funktionierendes Produkt anzubieten.
Anders verhält es sich bei den sogenannten „Designkopien“. Darunter werden laut Studie die Imitation des äußeren Erscheinungsbildes oder die illegale Übernahme von Katalogen oder Produktfotos verstanden. Das einwandfreie Funktionieren des Produktes steht bei Designkopien nicht im Vordergrund. Der Preis für die minderwertige Ware liegt dennoch im Bereich der Originalware – andernfalls fiele die Fälschung zu schnell auf. Ohne Mühen reich zu werden, für eine wachsende Zahl von Fälschern klingt dies sehr attraktiv. Daher verzeichnet die VDMA-Studie gerade hier einen signifikanten Sprung: „Jeder zweite Studienteilnehmer gibt an, dass bei den ihm bekannten Plagiaten keinerlei Informationsbeschaffung nötig war. Dies ist im Vergleich zu dem Ergebnis von vor zwei Jahren ein großer Sprung um 16 Prozentpunkte auf nun 51 Prozent und steht im Einklang mit der vermehrten Beobachtung von Designkopien.“
Unzufrieden mit Politik und Messen
Die Branche ist unzufrieden mit dem gesetzlichen Rahmen und der Durchsetzung. Während gut die Hälfte der befragten Unternehmen noch mit den Bedingungen in Deutschland einverstanden ist, fällt dieser Wert bei den weltweiten Bedingungen signifikant ab. In der Kritik stehen vor allem internationale Messen. Die wichtigen Marktplätze für Maschinenbauer werden auch zunehmend von Fälschern genutzt. Einerseits möchten sie Kenntnisse über ausgestellte Originalprodukte erlangen, andererseits möchten sie ihre eigenen gefälschten Produkte zum Verkauf anbieten. Selbst bekannte Fälscher werden immer wieder bei Messen zugelassen, da die Messebetreiber um Einnahmen durch wegfallende Standgebühren fürchten. Razzien gegen mutmaßliche Fälscher werden regelmäßig nur vor Messebeginn zugelassen, um den Betrieb während der Ausstellung nicht zu beeinträchtigen. Das alles führt zu hoher Unzufriedenheit unter den deutschen Maschinenbauern. Hier müssen beide Seiten eine Lösung finden, denn die Werte sind für Messegesellschaften dramatisch schlecht. Zwar halten gut 60 Prozent der Studienteilnehmer die Maßnahmen deutscher Messen gegen Produktpiraten für ausreichend, im Umkehrschluss sind aber fast 40 Prozent der Unternehmen unzufrieden. Dieser Wert ist innerhalb von zwei Jahren um 8 Prozent gestiegen. Die steigende Tendenz können auch Messegesellschaften nicht länger ignorieren. Denn ihr Geschäftsmodell steht angesichts der immer stärkeren Verlagerung des Handels in den Onlinebereich ohnehin seit Jahren unter Druck.
Die Studie kann hier heruntergeladen werden.
 
Hintergrund:
Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) vertritt mehr als 3200 Betriebe des mittelständisch geprägten Maschinen- und Anlagenbaus und ist damit die größte Netzwerkorganisation des europäischen Maschinenbaus. Mit 1,35 Millionen Erwerbstätigen im Inland und einem Umsatz von 224 Milliarden Euro (2017) ist die Branche größter industrieller Arbeitgeber und einer der führenden deutschen Industriezweige insgesamt. Mit 1,35 Millionen Erwerbstätigen im Inland ist der Maschinen- und Anlagenbau der größte industrielle Arbeitgeber Deutschlands.
Der Verband führt alle zwei Jahre eine Studie zum Thema Produkt- und Markenpiraterie unter den Mitgliedsunternehmen durch. Seit 2003 werden somit Zahlen und Informationen gesammelt, um der Bedrohung durch Plagiate, Fälscher und Kopierer in der Branche der Maschinen- und Anlagenbauer ein Bild zu geben. Dieses Jahr haben sich im Zeitraum der Datenerhebung vom 5. Februar bis zum 5. März 136 Mitglieder des VDMA an der Studie zur Produktpiraterie beteiligt. Im Vergleich dazu haben an der letzten Studie im Jahr 2016 195 Mitglieder teilgenommen. Unter den Teilnehmer sind dabei sowohl zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen, wie auch etliche Großunternehmen vertreten.
Quelle: www.innovationskraft.info

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