Automatische Gesichtserkennung: Es geht um viel mehr!

Das Forum Vernetzte Sicherheit hat auf Twitter eine Umfrage zur Akzeptanz der automatischen Gesichtserkennung gestartet. Das Ergebnis ist überraschend.

Neue Videoüberwachung am Berliner Südkreuz – jetzt mit automatischer Gesichtserkennung. Die brandneue Technologie scheint zur Zeit noch nicht ganz ausgereift. Daher der Feldversuch. Ähnlich wie bei der Einführung neuer Arzneimittel wird an Freiwilligen getestet.

Berlin Südkreuz rüstet auf – mit automatischen Kameras, die jedes Gesicht erkennen und mit einer Verbrecherkartei vergleichen. Wohlgemerkt, zunächst nur in engen Grenzen und unter dem strikten Prinzip der Freiwilligkeit der Probanden. Dieser Schritt verwundert dennoch. Sicherheitstechnologie wird üblicherweise nicht in öffentlichen Feldversuchen erprobt. Erstens: Der Bürger hat ein Anrecht darauf, dass die von Sicherheitsbehörden eingesetzten Technologien auch ausgereift sind. Wo kämen wir denn da hin, wenn ein neuer Wasserwerfer, eine neue Pistole sich erst noch im Feldversuch bewähren müsste? Freiwillige vor! Klingt absurd? Ist es auch. Zweitens: Automatische Gesichtserkennung wird schon längst in anderen Staaten eingesetzt. Erfahrungen sind reichlich vorhanden. Und: Nein, sie funktioniert dort nicht fehlerfrei. Die Quote mag gering sein, dennoch existiert sie. Es klingt unangenehm, wenn man auf Grund eines Fehlers im System plötzlich verdächtigt und kontrolliert wird. Aber das wird man auch bei abgesperrten Straßen und anlasslosen Personenkontrollen. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke hat das Bundesinnenministerium mitgeteilt, dass zum Beispiel im Jahr 2015 knapp drei Millionen solcher anlasslosen Personenkontrollen stattgefunden haben. Das ist keine geringe Zahl. Zwar wird bei der automatischen Gesichtserkennung die anlasslose Personenkontrolle „in extenso“ betrieben, am Grundsatz ändert sich jedoch nichts.

Worum geht es nun also im Kern bei dem Test am Berliner Südkreuz? Die Vermutung liegt nahe, dass es neben der tatsächlichen Erprobung der Technologie auf ihre deutsche Alltagstauglichkeit eben auch in erheblichem Maße um die Frage nach der Akzeptanz in der Bevölkerung geht. Eine Abstimmung mit den Füßen sozusagen.

Das FVS hat daher auf Twitter eine Umfrage gestartet. Auch hier konnte man sich entscheiden, durch die Kontrolle zu gehen oder das Kontrollfeld zu umfahren. Das Ergebnis klingt eindeutig. 47 Prozent der fast 2.100 Voter ist gegen die Nutzung der Videotechnologie. Diese Menschen wählen den überwachungsfreien Zugang zum Gleis. „Nur“ 30 Prozent sind dafür und gehen durch die Kontrolle. Doch wir hatten in der dritten Kategorie nicht nach „unentschieden“, sondern nach „mir egal“ gefragt. Schließlich wird auch wohl kaum ein Pendler das Berliner Südkreuz nun gänzlich meiden. Aber es gibt eben solche, denen es völlig egal ist, ob ihr Gesicht beim täglichen Gang zur Arbeit nun erkannt wird, oder nicht. Das sind immerhin 23 Prozent.

Dennoch, auch wenn eine Mehrheit klar für automatische Gesichtserkennung ist oder ihr zumindest „positiv unentschieden“ gegenüber steht, ist immerhin knapp die Hälfte dagegen. Warum? Haben diese Leute etwas gegen Verbrecherjagd? Wohl kaum. Wir wollen mal davon ausgehen, dass kein Angehöriger einer Terror- oder Mafiagruppe freimütig bei Twitter an solchen Votings teilnimmt. Was treibt die Leute also dazu, doch irgendwie gegen mehr Sicherheit zu sein – denn das ist ja das Ziel des Erkennens von Straftätern.

Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der grünen Bundestagsfraktion erklärt dazu gegenüber dem FVS: „Bei der „intelligenten“ Videoüberwachung, wie sie jetzt am Bahnhof Berlin-Südkreuz in einem Pilotprojekt eingesetzt wird handelt es sich um technische Verfahren der massenhaften Erfassung, Speicherung und Analyse von Gesichtern und Verhaltensweisen in öffentlichen Räumen in Echtzeit. Sie schränkt die Freiheit von Bürgerinnen und Bürgern, sich in der Öffentlichkeit anonym zu bewegen, massiv ein und lässt sie mit einem latenten Gefühl des Überwachtwerdens zurück.“ Lisa Häger, Sprecherin des Bundesinnenministeriums sagt dazu: „Der zielgerichtete Einsatz von Videotechnik trägt bereits jetzt zur Vermeidung und Verfolgung von Straftaten bei. Videoüberwachungsanlagen erhöhen auch das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Der Einsatz von Videoüberwachung wird von einem Großteil der Bevölkerung positiv bewertet.“

Wenn also tatsächlich die Mehrheit der deutschen Bevölkerung für die automatische Gesichtserkennung ist (was sich mit der Tendenz unserer Twitter-Umfrage deckt), dürfen dann Freiheitsrechte eingeschränkt werden? Es geht also eigentlich gar nicht um technische Details, sondern ums Grundsätzliche. Freiheit versus Sicherheit. Kann das Recht des Einzelnen auf die unbeobachtete Bewegung im öffentlichen Raum aufgewogen werden mit dem Sicherheitsinteresse der Bevölkerung? Bundesinnenminister Thomas de Mazière gibt sich gegenüber dem „Tagesspiegel“ eindeutig. Beim Beispiel der konkreten Fahndung nach einem geflohenen Attentäter, wie im Fall Amri, sagt er: „Die Grundrechtseinschränkung ist dabei gering, da Unbeteiligte gar nicht erfasst werden. Bei schweren Straftätern und Gefährdern halte ich das für ein adäquates und brauchbares Mittel.“

Dauerhaft und im Alltag sinnvoll ist ein solches System der automatischen Gesichtserkennung jedoch nur, wenn es kontinuierlich läuft und auch Fahndungen über Grenzen hinweg ermöglicht. Das wird in Berlin ausdrücklich nicht getestet. „Es erfolgt kein Abgleich der erhobenen Daten mit nationalen und internationalen Strafverfolgungsbehörden im Rahmen des Test. Für die Erprobung wurde eine eigene Datenbank aus Lichtbildern der freiwilligen Testpersonen erstellt. Die softwarebasierten Systeme sollen die Gesichter von Personen, die in den entsprechend gekennzeichneten Testbereichen am Bahnhof erfasst werden, mit den Bildern in dieser eigens erstellten Datenbank abgleichen“, so Lisa Häger.

Somit bleiben für die Zukunft drei Fragen, die einer Klärung bedürfen:

  1. Wird sich die deutsche Bevölkerung an die Präsenz neuer Überwachungstechnik gewöhnen?
  2. Ist die Anwendung solcher Technologien auch nach der Bundestagswahl noch politisch gewollt?
  3. Funktioniert der internationale Abgleich vorhandener Daten mit dem großen Strom an eingehenden und neu entstehenden Daten bei flächendeckendem Einsatz?

Insofern ist der Feldversuch am Berliner Südkreuz erst der Anfang einer längeren politischen Diskussion. Um die Technik bei dieser Insellösung geht es vordergründig. Das ist jedoch das geringste Problem.

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