Katalonien: Ungleiche Verteilung von Reichtum gefährdet Frieden und Wohlstand überall

Seperationsbestrebungen, wie in Katalonien gefährden die Stabilität von Staaten. Steven Johnson hat für The Atlantic analysiert. Er liegt richtig, irgendwie dann aber auch nicht.

Großbritannien, Flandern, Bayern, Katalonien, die Lombardei und Venetien – das Muster wiederholt sich, besonders in Europa: Reiche Staaten und Regionen versuchen sich der lästigen Transferzahlungen für die ärmeren Landesteile durch Separation zu entziehen. Viele glauben, dass „Freiheits-„ und „Unabhängigkeitsbewegungen“ hauptsächlich etwas mit ethnischer und religiöser Eigenständigkeit zu tun haben. Doch immer weniger sind es unterdrückte Minderheiten, die für ihre Rechte kämpfen. Vielmehr sind es ökonomische Interessen, so Johnson.

Damit hat er recht – andererseits aber auch nicht. Denn: Die Gründe für die vielen Unabhängigkeitsbestrebungen in der Menschheitsgeschichte waren immer sozialer UND wirtschaftlicher Natur. Darüber hinaus lag in den allermeisten Fällen ein Schwergewicht auf den wirtschaftlichen Vorteilen, die man sich mit einer Separation versprach. Schließlich kann eine staatliche Unabhängigkeit nur der ernsthaft anstreben, der nachher auch ein lebensfähiges (Staats-)Gebilde formen kann. Seien es die schottische, die amerikanische, die indische Unabhängigkeitsbewegung und sogar die post-kolonialen Bestrebungen vieler afrikanischer Staaten in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts – man wollte sich immer wieder der „Ausbeutung“ der Kolonialmacht entziehen.

Und nun wollen sich vielen in Europa von Brüssel oder ihrer eigenen Hauptstadt „befreien“. Das gefährliche der „neuen“ von Johnson beschriebenen Separationsbestrebungen in Europa ist nicht der vornehmliche Fokus auf den Faktor „Wirtschaft“. Vielmehr erscheinen Katalonien, Venetien, Brexit und Folgeüberlegungen wie Nexit, Öxit, Franxit usw. zunächst unsolidarisch. Es geht im Europa des 21. Jahrhunderts schließlich weniger um die Beseitigung von ethnischer Unterdrückung. Nein, es geht um darum, das selbst erwirtschaftete Geld auch selbst verkonsumieren zu können. Das ist per se nicht zu kritisieren. Der Übergang zum Staatsegoismus, zu unterlassener Hilfeleistung ist jedoch fließend. Langfristig ist niemandem damit geholfen, wenn reiche Regionen immer reicher und arme Regionen immer ärmer werden. Soziale Instabilität, steigende Kriminalität und Fluchtbewegungen werden die zwangsläufige Folge sein.

Gerade in Zeiten, in denen Europa durch die Flüchtlingsbestrebungen aus dem Krisenbogen des Nahen und Mittleren Ostens eine gemeinsame und global orientierte Solidarität (aus wohl verstandenem Eigennutz) entwickeln muss, sind Bestrebungen einzelner Regionen und Staaten hin zu mehr Abschottung und sogenannter „Eigenständigkeit“ ein kurzsichtiger egoistischer Reflex.

Doch ist Separation in Europa damit per se unmoralisch? Ist der moralische Appell für wirtschaftlichen Ausgleich in Europa und global sogar schon Assimilationspolitik? Wie viel Transfer ist möglich, ohne zur Ausbeutung zu werden? Wie viel Egoismus ist akzeptabel ohne unmoralisch zu sein? Es geht bei diesen Fragen nicht um ein „Ja“ oder „Nein“ zu Europa. Das ist die falsche Ebene der Diskussion. Vielmehr sollte die Frage beantwortet werden, ob Separationsbestrebungen die soziale und wirtschaftliche Stabilität und Sicherheit insgesamt gefährden. Denn damit ist am Ende keinem gedient – auch nicht den Katalanen.

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