„Vorzeichen gibt es immer“

Scheinbar wie aus dem Nichts heraus schlagen sie zu, die Massenmörder und Terroristen, oftmals als „lone wolves“ bezeichnet. Das FVS sprach darüber mit einem der führenden Experten, Professor John Horgan. Er leitet das Institut für globale Studien und Psychologie an der Georgia State University, Atlanta.

Herr Professor Horgan, was ist ein Massenmörder?
Ein Massenmörder ist jemand, der innerhalb von 24 Stunden vier oder mehr Menschen in einem gemeinsamen Tatzusammenhang tötet.

Was bringt Menschen dazu, so etwas zu tun?
Da gibt es ein ganzes Bündel von Ursachen. Meist sind es Erlebnisse aus dem persönlichen Umfeld, Stress am Arbeitsplatz, gesellschaftliche Ausgrenzung. Ein Massenmörder ist vor seiner Tat tief betrübt, meist sozial isoliert. Er handelt jedoch nie ansatzlos und einfach nur so. Auch, wenn wir die dahinterliegende Begründung oftmals nur schwer entziffern können.

Was unterscheidet einen Massenmörder von einem Terroristen?
Ein Terrorist handelt in einem anderen Bezugsrahmen. Während ein Massenmörder meist eine bestimmte soziale Gruppe im Blick hat, wie zum Beispiel Arbeitskollegen oder Mitschüler, richtet sich ein Terrorist mit seinem Hass eher allgemein gegen ganze Bevölkerungsgruppen. Seine Tat ist Teil einer größeren Kampagne. Auch legt es ein Terrorist per se darauf an, eine größere öffentliche Wirkung zu erzielen. Doch das ist nicht unbedingt ein Alleinstellungsmerkmal von Terrorismus. Nehmen Sie nur Stephen Paddock, dem Attentäter von Las Vegas. Er benutzte ähnliche Waffen wie Terroristen und verübte ein öffentliches Verbrechen mit kalkulierter medialer Breitenwirkung. Das führte bei vielen dazu, einen Terroranschlag zu vermuten. Doch das ist bis jetzt noch nicht erwiesen. Die Symptome sind teilweise ähnlich. Das darf jedoch nicht zu Verwechslungen führen.

Eine weitere Überschneidung ist auch, dass es „lone wolves“ sowohl als Massenmörder wie auch als Terrorist gibt…..
Grundsätzlich handelt kein Terrorist total isoliert. Es war immer eine ideologische Infiltration vorgeschaltet, oftmals auch eine Unterstützung bei der logistischen Vorbereitung, um zum Beispiel Waffen, Fahrzeuge oder Geld zu sichern. Deshalb ist der Begriff „Einzeltäter“ auch griffiger. Man ist mit der „lone wolf“-Erklärung jedoch schnell bei der Hand, wenn Hintergrundinformationen fehlen. Die Überlebenden und die Gesellschaft wollen schnell Erklärungen – und dann wird vorschell vom „lone wolf“ gesprochen – auch von Seiten der Behörden.

Gerade in den letzten Jahren kamen viele Terroristen in Europa aus dem kriminellen Milieu. Ist das ein möglicher Ansatz, um potentielle Terroristen zu erkennen?
Bei solchen Überlegungen muss man sehr vorsichtig sein. Es ist falsch, zu glauben, dass Kriminelle eher zum Terrorismus neigen. Sicher gibt es einen gewissen „Erlösungs-Glauben“, also den Versuch von einzelnen Kriminellen sich mit einer heiligen Tat von vorherigen Sünden reinzuwaschen. Aber einen zwingenden Zusammenhang gibt es auf diesem Gebiet nicht. Der Trend der vergangenen Jahre ist eher der Tatsache geschuldet, dass sich die Rekrutierungsbemühungen des Islamischen Staates auf junge Kriminelle konzentriert haben. Diese Versuche gibt es aber auch bei Konvertiten. Terroristen sind Opportunisten. Sie gehen den vielversprechendsten Weg, um zu rekrutieren.

Gibt es denn Möglichkeiten, bei bestimmten Menschen ihre Neigung zur Radikalisierung präventiv zu erkennen?
Vergessen Sie diese Ansätze. Das ist Zauberei und entbehrt jeder Seriosität. Was jedoch tatsächlich sehr gut funktioniert, ist die Früherkennung aus dem sozialen Umfeld heraus. Es gibt immer Vorzeichen für Terrorattacken. Seien es bestimmte Meinungsäußerungen oder geänderte Verhaltensweisen. Hier ist die Zivilgesellschaft, der Freundeskreis, die Nachbarschaft viel stärker in der Verantwortung. Es gilt das Motto: „Bemerkst du etwas, teile dich anderen mit!“

Wie soll das funktionieren? Man kann doch nicht bei der lapidaren Äußerung eines Bekannten gleich die Polizei rufen.
Die Angst vor der Polizei und davor, einen offiziellen Weg einzuschlagen ist natürlich ein Hindernis. Es gibt jedoch gute Beispiele wo ein solches Meldesystem gut funktioniert. Nehmen Sie die Maßnahmen zur Prävention von Selbstmorden, wie zum Beispiel Telefon-Hotlines. Die waren in den letzten Jahren sehr erfolgreich. Wir sind aktuell dabei, innerhalb der USA ein ähnliches System zur Prävention von Terror zu entwickeln. Dazu kann ich jedoch erst in ein paar Monaten Stellung nehmen, da das Forschungsprojekt noch läuft.

Vielen Dank, Herr Professor Horgan, für das Gespräch.

 

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